Experten unterstützen die Position der ÖTZ
Die Geschlechtsbestimmung im Ei (in-ovo-Geschlechtsbestimmung) stellt nach Überzeugung der Ökologischen Tierzucht gGmbH (ÖTZ) keine sinnvolle Lösung für das Problem der Tötung männlicher Küken aus der Legehennen-Brüterei dar. Die ÖTZ kritisiert, dass die damit einhergehenden strukturellen Veränderungen dem ökologischen Geflügel-Bereich schaden und die Bemühungen um eine ökologische Zucht in Richtung Zweinutzungsrassen torpedieren. Die notwendige technische Ausstattung zur Bestimmung des Geschlechts im Ei ist extrem kostenintensiv und sei deshalb nur in wenigen Brütereien umsetzbar, so die Kritik. Die kleineren Betriebe im Öko-Bereich könnten sich diese Investition gar nicht leisten. Noch wichtiger ist den Akteuren, die am Öko-Huhn der Zukunft züchten, jedoch, dass mit der In-ovo-Geschlechtsbestimmung der Zeitpunkt der Tötung männlicher Küken in der Legehennen-Brüterei lediglich vorverlegt wird. Die sinnlose Vernichtung von Leben werde damit nicht vermieden. Eine Technik, die mit dem Ziel eingesetzt wird, eines der beiden Geschlechter – und damit die Hälfte der Tiere – erst gar nicht leben zu lassen, halten sie für ethisch nicht vertretbar.
Unterstützung erfährt die ÖTZ dabei von den Experten Dr. Anita Idel, Tierärztin und Mediatorin, Professor Michael Grashorn von der Universität Hohenheim, Dr. Gerhard Seemann von XPRTSSOLUTIONS, Klaus Plischke von der Software AG–Stiftung in Darmstadt und von der Geflügelzucht und Bio-Brüterei Werner Hockenberger. Die fünf beantworten Fragen, erläutern den Stand der Dinge und beziehen Position.
Welche Verfahren zur Geschlechtsbestimmung am bebrüteten Ei wurden bisher schon getestet?
Ernsthafte Bemühungen zur Geschlechtsbestimmung am bebrüteten Ei gibt es schon seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In Deutschland wurden die Verfahren ab etwa 2005 für die Politik interessant. Die jetzt laufenden Untersuchungen sind bereits der dritte Anlauf im Rahmen von staatlich geförderten Projekten in Deutschland, um eine praktikable Lösung zu finden. Versuche, nach einer Zellentnahme aus dem Ei eine Chromosomenbestimmung durchzuführen, lieferten zwar eindeutige Ergebnisse in der Geschlechtsbestimmung, waren aber zu kompliziert und aufwendig für die praktische Anwendung. Hormonbestimmungen erwiesen sich erst ab ungefähr dem achten Bebrütungstag als zuverlässig. Sie liegen damit zu nahe am Zeitpunkt, ab dem die Wissenschaft von einem Schmerzempfinden des Embryos ausgeht. Außerdem sind Laboruntersuchungen erforderlich, die für die Praxis zu kompliziert sind und den Entscheidungsprozess verzögern. Beide Verfahren erfordern eine Probenentnahme aus dem Ei, was im hygienischen Umfeld einer Brüterei kritisch zu sehen ist. Die jetzt im Vordergrund stehende spektroskopische Messung erfolgt ohne Probenahme aus dem Ei schon ganz am Anfang des Brutprozesses, ermöglicht nach wenigen Sekunden eine Entscheidung und erfordert keine längere Unterbrechung des Brutprozesses.
Wo liegen die technischen Probleme und Herausforderungen beim spektroskopischen Verfahren?
Die spektroskopischen Untersuchungen (Raman-Spektroskopie) wurden bislang am liegenden Ei durchgeführt. Dazu wurde mit einem Laser ein Loch im Durchmesser von 1 cm in die Eierschale geschnitten. Der Messstrahl musste so gerichtet werden, dass er ein Blutgefäß abscannen konnte. Künftig soll das Verfahren so abgeändert werden, dass es zur Bruttechnologie passt. Das Ei soll mit der Spitze nach oben abgescannt werden, was aber bedeutet, dass zwischen dem Embryo, der sich auf dem Dotter befindet, und dem Loch in der Schale ein weit größerer Abstand zu überwinden ist als in der waagerechten Position. Zudem soll der Durchmesser des Loches verringert werden, um Brutprobleme zu verhindern. Es ist jedoch fraglich, ob die feinen Blutgefäße über das kleinere Loch durch das Eiklar hindurch schnell und sicher gefunden werden können. Die Planungen sehen deshalb auch Stellelemente vor, um das Ei individuell zu positionieren.
Welche Auswirkungen hat das auf das Brutergebnis?
Die Brutergebnisse mit den waagerecht abgescannten Eiern sind unbefriedigend. Es wurden lediglich Schlupfergebnisse von 64 Prozent erreicht. Dazu kommt noch die Genauigkeit von lediglich 90 Prozent. Alles in allem schlüpften somit aus 100 eingelegten Eiern lediglich 29 weibliche, aber auch noch drei männliche Küken. Theoretisch wären bei 50 Prozent weiblichen Eiern, 100 Prozent Genauigkeit und 85 Prozent Schlupf 42 weibliche Küken zu erwarten. Ursache für die Schlupfprobleme sind wahrscheinlich Verletzungen an den sehr feinen Blutgefäßen der Embryonen. Bruteier reagieren besonders zu Beginn der Brut zudem sehr empfindlich auf Erschütterungen.
Was sind die Vor- und Nachteile des Verfahrens?
Der Vorteil des Verfahrens liegt in der frühen Anwendbarkeit nach lediglich drei bis acht Tagen Bebrütung. Damit können unerwünschte Embryonen schmerzfrei „entsorgt“ werden. Allerdings werden wegen der Schlupfprobleme nicht mehr 100 Eier, sondern 148 Bruteier produziert und bebrütet werden müssen, um 42 weibliche Küken zu erhalten. Im Prozess fallen für die 42 Küken 100 bebrütete Eier als entsorgungspflichtiger Abfall und fünf männliche Küken an, für die es keine Verwendung gibt. Wenn man bedenkt, dass es sich bei den nicht zum Schlupf gebrachten Eier ebenfalls um Lebewesen handelt, erscheint das Verfahren insgesamt als wenig sinnvoll, da es die Anzahl getöteter Lebewesen sogar noch deutlich erhöhen und erneut zu Akzeptanzproblemen führen könnte.
Die Geflügelindustrie, bestehend aus den wenigen Großen der Branche, präferiert diese Methode, um den Prozess in der Brüterei weiter zu automatisieren und durch den Einsatz von großen und damit teuren Maschinen den kleineren Marktteilnehmern die wirtschaftliche Existenzberechtigung zu entziehen. Es bleibt abzuwarten, ob sich auch im konventionellen Bereich ein kleiner Markt für Zweinutzungshühner entwickeln wird, so dass die eine oder andere kleinere Brüterei überleben kann.
Die in-ovo-Geschlechtsbestimmung könnte sich als Brückentechnologie für die kommerzielle Erzeugung erweisen, die innerhalb von fünf Jahren Praxisreife erlangen könnte. Die Umzüchtung der Genetiken auf dem Weg zum Zweinutzungshuhn braucht zwar deutlich länger. Dennoch stellt sich die Frage, ob es volkswirtschaftlich sinnvoll ist, viel Geld in eine Technik zu stecken, die unter Umständen nur eine mittelfristige und strittige Lösung darstellt. Wäre nicht ein nachhaltigeres Vorgehen durch die konzentrierte Förderung der Zucht in Richtung Zweinutzungsrassen auch durch die Politik deutlich sinnvoller?
Gibt es einen besseren Lösungsansatz?
Die Geschlechtsbestimmung im Ei löst das Problem der übermäßigen Spezialisierung in der Geflügelzucht nicht. Ihre Einführung würde dem unersättlichen Streben nach einseitiger Leistungssteigerung der Hennen die letzte potentielle Begrenzung nehmen. Das Verfahren verlagert die Tötung der männlichen Legetiere lediglich in das erste Drittel der Brut. Die Forschung setzt damit nicht etwa auf Ursachenvermeidung durch artgerechte Züchtung, sondern auf Kostenersparnis durch möglichst frühe Geschlechtsbestimmung im Ei. Solange die Legehenne nur als Eierstock gesehen wird mit einem ansonsten überflüssigen Körper und das Masthähnchen nur als Hähnchenschnitzel, wird sich am Dilemma nichts ändern.
Das ethische Grundübel ist die bisher übliche einseitige Selektion auf Mast- oder Legelinien, bei der die Tiere genetisch zur Leistung gezwungen werden auf Kosten ihrer Selbstregulationsmechanismen. Dem kann nur die Züchtung von Zweinutzungsrassen einen Riegel vorschieben. Zweinutzung ist aus Tierschutzerwägungen ein absolutes Muss. Mit einer ökologischen Zucht von Zweinutzungsrassen werden wir sowohl der weiblichen als auch der männlichen Seite gerecht und erhalten eine ausgewogene Leistung. Dann brauchen wir auch nicht länger Berufskrankheiten wie die Entzündungen des Legedarms der Hennen beklagen oder uns mit den Brustbeinbrüchen arrangieren, die Legehennen allzu oft in der Anfangsphase ihrer Legezeit erleiden.
Eine balancierte Geflügelzucht erkennt die Grenzen der Leistungszucht an und trägt den physiologischen Bedürfnissen der Tiere Rechnung.. Es ist durchaus realistisch, mit weniger stark spezialisierten Linien in geschickter Kombination eine wirtschaftliche Eier- und Fleischerzeugung zu organisieren. Mit einem legebetonten Zweinutzungshuhn und einem fleischbetonten Pendant dazu lässt sich eine Eier- und Geflügelfleischerzeugung aufbauen, die den heutigen ethischen Vorstellungen entspricht und das problematische Töten von Tieren überflüssig macht.
Bei der Züchtung und Haltung sollte dann das Tierwesen, sowohl in physiologischer als auch in Hinsicht auf sein artgerechtes Verhalten, konsequent respektiert werden. Die Tierzucht muss sich von der einseitigen Züchtung auf Leistungssteigerung verabschieden. Dann werden die Hennen auch nicht mehr zu reinen Lege-Maschinen degradiert. Die Kompensation der erhöhten Kosten muss beim Konsumenten durchgesetzt werden und der Mehr-Erlös muss auf den Betrieben ankommen. Wichtiger als technische Verfahren ist eine differenzierte Diskussion darüber, wie entscheidend es ist, sich wirklich respektvoll um das Tierwesen zu kümmern und Regeln der Natur zu respektieren. Deshalb gilt es für die Verbände und die Bio-Branche, die Zweinutzungstiere nicht nur zu züchten und kontinuierlich weiterzuentwickeln, sondern auch und gerade die Verbraucher über die Vorteile und den ganzheitlichen Ansatz der Zweinutzungshühner aufzuklären und die Produkte dieser Tiere entsprechend klar erkennbar zu machen.
18. Februar 2016